Das Kuriosum

Was die Kunst der Malerei anbelangt, wurde das Gemälde gewürdigt und erkannt, was die Ratio, die darin enthalten ist, betrifft, wartete es auf seine Entschlüsselung. Es ist doch paradox, geradezu unglaublich, dass das Hauptwerk von Leonardo da Vinci keinen geistigen Gehalt hätte. Es ist vermutlich eher so, dass dieser bisher nicht entdeckt wurde.

Die ausführlichen Deutungen und Bildbeschreibungen, die mir bekannt sind (mehr als zehn), können die Symbole nicht einzeln zuordnen, wie dies hier mit fast allen Einzelheiten auf dem Gemälde erfolgt ist. Es wird von anderen oft die Bedeutung der Vernunft geahnt und erwähnt.

Nach der vorliegenden Deutung ist die Philosophie mit Naturphilosophie, Ethik und Logik stimmig und ohne Widersprüche abgebildet, aufgezeigt an mehr als 50 Details. Dass dies eine zufällige Übereinstimmung wäre, ist zwar mathematisch möglich, kommt aber in der Praxis nicht vor. Die Übereinstimmungen sind keine Zufälle, sondern das Genie Leonardos hat sie bewusst so geschaffen.

Leonardo drückte mit dem Gemälde "sein Selbst" aus, dazu gehört seine Ratio, ich durfte versuchen, sie zu entdecken. Das war mein Problem, das ich lösen wollte.

Vielleicht bekommt dadurch das Gemälde einen noch gesteigerteren Wert für die Kunst der Malerei, für die Malerei als Wissenschaft, die Kunstgeschichte, für Leonardo da Vinci, sein Genie, die Stadt Mailand und vor allem für die Menschheit, als Erkenntnisgewinn und sichtbares Lehrstück nach dem Grundsatz von Leonardo:

»Sehen ist gleich Erkennen«

Ich habe zum Abschluss meiner Bemühungen nochmals ein Buch eingesehen, herausgegeben von einem großen Leonardo-Forscher, von Ladislao Reti

Er überlässt in seinem Buch Leonardo "das letzte Wort". Da erfahren wir, dass er sich nicht für belesen ausgab: "Mir ist wohl bewusst, dass ich kein Belesener bin, und dass es einigen Überheblichen rechtens erscheinen könnte, mich zu schelten mit der Bemerkung, ich sei ein Mann ohne Belesenheit - törichte Menschen! Wissen diese denn nicht, dass ich, wie schon Marius den römischen Patriziern, auch ihnen erwidern könnte:

"Wer sich mit den Arbeiten anderer schmückt, der will mir meine eigenen nicht zubilligen. Sie werden sagen, weil ich keine Belesenheit habe, kann ich nicht gut zum Ausdruck bringen, was ich abhandeln will. Wissen diese denn nicht, dass meine Dinge weniger aus dem Wort als aus der Erfahrung abzuhandeln sind, welche Lehrmeisterin derer war, die gut geschrieben haben; gleichermaßen nehme auch ich sie zur Lehrmeisterin und werde sie in einem jeden Falle anführen."

Mit dem Abendmahl-Gemälde hat Leonardo meines Erachtens sein philosophisches Weltbild aus seiner Erfahrung "gemalt". Da Leonardo jedoch "die Malerei" "der Wissenschaft" gleich stellen wollte, musste er alle Informationen gierigst aufnehmen, um trotzdem fachkundig zu sein. Deshalb dürfen wir ja nicht in den Irrtum verfallen, Leonardo wäre nicht ganz auf der Höhe seiner Zeit in puncto Philosophie gewesen. Das hat sicher eine Bedeutung für meine vorangegangene Interpretation und die erforderliche Kritik dazu. Was hier von Diogenes Laertios zitiert wurde, war Leonardo bekannt und er sah die Geschichte jedenfalls kritisch genug.

Ich möchte nochmals Ladislao Reti zu Wort kommen lassen. Die Zitate sind vom Buchumschlag: "In Leonardo da Vinci haben der Geist der Renaissance und der Begriff des Genies, des Universalgenies, ihre repräsentativste und geheimnisvollste Verkörperung gefunden. Seine Persönlichkeit bleibt unergründlich, sein alle Gebiete zeitgenössischen Könnens und Wissens umfassendes Schaffen so unvollendet wie unerschöpflich. Doch stehen Gestalt und Werk im hellen Licht der Kulturgeschichte; die gleichsam magische Kraft des großen Künstlers und Forschers bediente sich der Ratio - und ist ihr zugänglich." Genau dies kommt m. E. im "Abendmahl" zum Ausdruck.

"Leonardo da Vinci, 1452 in Italien geboren, ist nicht nur ein bekannter Maler, sondern ein ebenso genialer Bildhauer, Architekt, Philosoph, Dichter, Naturforscher und Ingenieur. Als Künstler und Wissenschaftler ist er die Verkörperung der Universalität des Renaissancemenschen. Die Forderung nach der Einheit von Natur und Geist ist das schöpferische Grundgesetz seines gesamten Werkes, das die volle Gleichheit zwischen Kunst und Wissenschaft herstellt." Das ist der Fall, wenn wir "Das Abendmahl" so interpretieren wie hier ausgeführt.

Fast alle Bildelemente (außer den Tischbeinen, den Apostelfüßen, der Landschaft außerhalb, den Speisen und der Mimik der Apostel, die nicht mit einbezogen wurden) haben einen symbolischen Sinn, der sich widerspruchsfrei zu einer Kosmologie zusammenfügt.

Der Naturforscher und Universalist Leonardo wäre mit meiner Interpretation vielleicht zufrieden gewesen, denn diese ist schon ganz allein aus seiner persönlichen Erfahrung möglich. Die Philosophie aus der Antike ist dazu nicht unbedingt notwendig, wie ich gezeigt habe, aber selbstverständlich ist sie eine wertvolle Hilfe und Anregung, mit der man diesen Weg finden konnte.

Es sind von mir insgesamt mehr als 50 Beweisgründe für meine Interpretation angeführt worden. Das kunstgeschichtlich bedeutendste Gemälde der Welt könnte damit erklärt und wesentlich in seiner Wirkungsmöglichkeit bereichert sein. Bisher war die Wirkung im Geist des Menschen nur auf die Ästhetik und das Gefühl beschränkt, jetzt erst ist es möglich, den Geist des Gemäldes vollständig mit dem ganzen Intellekt in Kraft zu setzen. Jeder muss für sich entscheiden, ob diese Interpretation sinnvoll und lohnend ist!

Das Schönste an der Sache ist für mich, dass mir die Entdeckungen durch eigene Bemühungen zufällig an die Hand gegeben wurden. Mit ganz ähnlichen Lösungen wie jenen von Leonardo. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit meiner Vermutungen. Kritik ist erwünscht und man kann auch nur Teile der Deutung annehmen. Leonardo da Vinci benötigte zwei Jahre "Hand- und Denkarbeit", um dieses geniale Gemälde zu erstellen. Leonardo hat zwei Jahre gestaltet, angenommen, gelernt, entdeckt, auch mit Symbolen. Jetzt könnte es nach einem halben Jahrtausend für diejenigen enträtselt sein, die diesem Aufsatz zustimmen. Die zweite Hälfte des Werkes, der geistige Gehalt des Gemäldes "Das Abendmahl" ist hiermit entdeckt.

"Jeder möchte doch wohl lieber solche Kinder haben als leibliche, wenn er auf Homer und Hesiod schaut und die anderen trefflichen Dichter und sie darum beneidet, dass sie solche »Nachkommen« hinterließen, die, selbst unvergänglich, ihnen unsterblichen Ruhm und ewiges Andenken bringen, und andere Männer vielerorts bei Hellenen und Barbaren, die viele schöne Werke ans Licht gefördert und mancherlei Ausgezeichnetes hervorgebracht haben. Ihnen hat man schon zahlreiche Kultstätten wegen solcher »Kinder« errichtet, wegen leiblicher Kinder aber noch keinem."

So spricht Diotima im "Trinkgelage" von Platon. Genau so hat sich Leonardo mit seinem "Kind ", dem Gemälde "Das Abendmahl ", unsterblich gemacht. Er hat sich ein großartiges Denkmal geschaffen und das bedeutendste Gemälde der Welt.

Das "Abendmahl" ist heute eines der am meisten besuchten Gemälde der Welt. Mit nichts hätte man Leonardo besser, dauerhafter und reichhaltiger ehren und würdigen können, als mit der vorliegenden Deutung seines Gemäldes. Leonardo und der Gehalt des Gemäldes bieten eine für die damalige Zeit einzigartige widerspruchsfreie Erklärung der Geschichte, des Weltenlaufs bis heute. Dazu gibt er mit dem Humanismus als Basis die vorbildliche Lösung des Problems an.

Natur-Geist-Gott-Welt-Universum und der Mensch sind in einer Einheit erfasst. Des Menschen Ausprägungen, sein Schicksal, seine Bestimmung, sein Einfluss darauf und die Lebens-Gestaltungsmöglichkeiten in einem Lehrstück gemalt. Mit Leonardos eigener Erfahrung, dem Schatz aus der Antike, seiner Naturwissenschaft, seiner Malkunst und seinen Erkenntnismöglichkeiten, alles auf einem Gemälde.

Geschaffen für das Betrachter-Publikum mit dem ihm eigenen stärksten Sinn erfahrbar, dem Auge,
für das "Augentier" Mensch.

Jetzt auch mit dem Geist, dem Verstand und der Vernunft fassbar, zum Wohle der Menschheit.

weiter zur Zusammenfassung

zurück zum Anfang